Maria Hahnenkamp und Gustav Klimt – eine Begegnung der intertextuellen Art

In Maria Hahnenkamps Serie „Körper-Diskurse“ (2005) sind weibliche Figuren horizontal im Bildraum angeordnet. Sie haben sich quergelegt und liegen damit quer zu üblicherweise in Bildräumen herrschenden Verhältnissen. Die Körper sind auf einer Glasplatte platziert und wurden vom Fotografen von unten durch das Glas aufgenommen. Da sie auf der Glasplatte aufliegen, scheinen die Körper die Flachheit ihrer bildlichen Repräsentation schon vorwegzunehmen oder auch mit der Idee eines Abdrucks auf dem Fotopapier zu spielen. Bei den Körpern handelt es sich um Torsi, gänzlich ausgespart sind beispielsweise Gesichter, Hände oder Füße. Folienbänder mit Textzitaten von Judith Butlers „Psyche der Macht“ umschlingen die Körper und führen ein Textelement im Bild ein.

Die weiblichen Körper fügen sich elegant in- und aneinander und scheinen den Bildraum mühelos gleitend von links nach rechts zu durchqueren. Hier bietet sich eine Verbindung zu Gustav Klimt und dessen Repräsentation von Weiblichkeit an. In Bildern wie „Wasserschlangen II“ (1904 – 07), „Bewegtes Wasser“ (1898) oder „Fischblut“(1898) nehmen Klimts weibliche Figuren eine vergleichbar horizontale Position ein. Die vier weiblichen Wesen in „Wasserschlangen II“ bewegen sich von links kommend harmonisch durch den Bildraum. Keine dieser Figuren ist auf Kollisionskurs, nichts deutet auf Revierkämpfe hin. In dieser Unterwasserwelt mit ihren kleinen Fischen, Schnecken, ihrer speziellen Fauna und dem submarinen Sternenhimmel herrscht unaufgeregte Koexistenz. An diesem Ort verschafft man sich nicht Raum, sondern generiert ihn gemeinsam im Fließen. Die Körper in ihrer Stromlinienform nehmen die Dynamik der Wasserströmung auf. Nichts blockt, nichts stoppt, da sind weder Arm noch Bein im Getriebe. Die weiblichen Wasserschlangen sind in ihrem Element und keine wehrt der Strömung.

Wie Carl Schorske (1982) darlegt, geht es Klimt speziell in seiner sezessionistischen Zeit darum, ein neues Menschenbild zu erkunden und seine künstlerische Forschung auf eine Welt in weiblicher Gestalt auszurichten. Das Subjektkonzept des 19. Jahrhunderts sieht autonome Wesen vor, die im Verhältnis zu anderen ihren persönlichen Hoheitsbereich rigoros abstecken. Die Souveränität des selbstbestimmten Individuums hat auch eine topographische Komponente. Die Repräsentanten der Gründerzeit setzen sich ins Zentrum und erwarten, dass sich Familie, Firma und gesellschaftliches Umfeld in konzentrischen Kreisen um sie legen. In dieser Welt der festen Umrisse und patriarchal verhärteten Strukturen geht es darum, Standfestigkeit und Stehvermögen zu demonstrieren. Noch greift das von Freud und den Sezessionisten propagierte neue Menschenbild nicht. Die Gründerzeitväter stehen fest und unverrückbar in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, spiegeln sich in ihrer Repräsentationsarchitektur und gebärden sich als vertikal in ihre historistischen Salons eingesetzte Monolithe. Wenn aber alle stehen, wird gleiten zum Gegenentwurf. Die in den Fakultätsbildern „Philosophie“ und „Medizin“ abgebildete Menschheit hat die Mühen evolutionären Voranschreitens hinter sich gelassen und treibt im offenen Raum. In dieser Welt zyklischer Prozesse erreicht man sein Ziel nicht durch Beharrlichkeit und Willensanstrengung, sondern durch intuitives Wissen um die Gesetze der Strömung und die Dynamik des Unbewussten.

Maria Hahnenkamps weibliche Figuren der „Körper-Diskurse“ haben etwas von der Eleganz und utopischen Verfasstheit ihrer Fin-de-Siècle Vorläuferinnen in die Gegenwart gerettet. Als aus der Vertikale gekippte Körper revidieren auch sie die klassische BetrachterInnenposition, schaffen andere Raumverhältnisse und führen eine neue Blickregie ein. Hüften und Schenkel sind in diesem Setting nicht gespreizt, sondern nehmen elegant aerodynamische Form an und lenken das skopische Begehren an der Oberfläche entlang, weg von den Verlockungen des Tiefenraumes.

Und doch sind Hahnenkamps Figuren anders als die Klimt Protagonistinnen. Ihre Körper sind von Textbändern umschlungen und nicht von jener Unterwasservegetation, die sie in die Nähe von Naturwesen rücken könnte. Ihre Bewegung ist weniger ein Gleiten denn ein Durchqueren und Durchkreuzen, wie Schrift und Gedanken dies tun. Im Gegensatz zu ihren „Wasserschlangen“ Schwestern, die in ihrem „natürlichen Element“ gezeigt werden, sind sie mit allen Wassern gewaschene Performerinnen. Gegen eine Glasplatte gepresst simulieren sie die Strömung, die ihrer Bewegung die Richtung gibt. Witzig und subversiv präsentieren sie sich nicht nur als Objekte der entsprechenden Körper-Diskurse, sondern übersetzen diese in eigener Weise. So tragen sie die entsprechenden Textstellen dort, wo üblicherweise Gürtel, Strapse oder Armschmuck sitzen. Als Performerinnen sind sie außerdem in Alltagskleidung erschienen und tragen Jeans, Pullover und T-Shirts. Keine von ihnen hat sich für diese Demonstration von Weiblichkeit eigens umgezogen. Obwohl es um Kurven und weibliche Formen geht, gibt es keine Zugeständnisse an Dresscodes. Letztlich ist es das Ornamentale der Bewegungschoreographie, das Weiblichkeit signalisiert. So wird, wie auch in anderen Arbeiten Maria Hahnenkamps, „genuin Weibliches“ ausgelagert, und das macht das Fortkommen einfacher und leichter.

Monika Schwärzler, 2014

Literaturangabe
Schorske, C. E. (1982). Wien. Geist und Gesellschaft im Fin De Siècle. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

Monika Schwärzler – Professor an der Webster Vienna Private University, Department of Media Communications; Doktorat in Philosophie an der Universität Wien; Akademikertraining am Museum Moderner Kunst in Wien; Lehrtätigkeit an der Webster University in St. Louis, MO und im Auslandsprogramm der University of Oregon; weiters Lehrtätigkeit im Internationalen Sommer Programm der Universität Wien und in Postgraduate Museologie Kursen der Universität Basel; Gründungsmitglied und Vorstand der T.K. Lang Gallery an der Webster University. Forschungsgebiete: Kunst- und Medientheorie, Fotoästhetik und -geschichte, Visuelle Kultur, Animationsfilm

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